Radikal reformierte Arbeitsgesellschaft oder Bedingungsloses Grundeinkommen?

„Als Säugling erhält man bereits sein erstes Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – an der Mutterbrust“, so die studierte Germanistin und Philosophin und heutige PR-Unternehmerin Claudia Cornelsen, Berlin, jetzt bei einem Streitgespräch im Renaissance-Saal des Ledenhofes in Osnabrück.

07.04.19 –

„Als Säugling erhält man bereits sein erstes Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – an der Mutterbrust“, so die studierte Germanistin und Philosophin und heutige PR-Unternehmerin Claudia Cornelsen, Berlin, jetzt bei einem Streitgespräch im Renaissance-Saal des Ledenhofes in Osnabrück.

Begeisternd berichtete sie entlang am fiktiven Lebenslauf eines Menschen in unserer Gesellschaft, in welchen Momenten wir immer wieder die Erfahrung von „bedingungslosen Geschenken“ machen: in der Familie, im Freundeskreis und auch im Beruf. Und wie insbesondere Männer dabei im Verlauf ihres Lebens zunehmend die Fähigkeit einbüßen, ohne Gegenleistung dankbar und beglückt bedingungslose Zuwendungen anzunehmen. „Geschenke wirklich als solche anzunehmen – ohne auf Hintertüren direkt zu lauern; auch das will gelernt sein“, erklärt die engagierte und weltläufige Publizistin und Dozentin den etwa 50 Besuchern an diesem Abend.

Sie hat nun in einem Buch mit Michael Bohmeyer (Was würdest Du tun? - Wie uns das Bedingungslose Grundeinkommen verändert - Antworten aus der Praxis, 2019) geschildert, wie sich konkret das Leben von Menschen verändert hat, die seit 2014 in einem Modellversuch ein Grundeinkommen erhalten. Für Cornelsen in unseren Tagen eins der spannendsten Sozial-Labore der Welt; ein Neuentwurf für eine Gesellschaft und Arbeitswelt im radikalen Umbruch. Das Grundeinkommen, so Cornelsen, ist mehr als Geld: „Es entfesselt notwendige Kräfte und Fähigkeiten, um den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein.“

Dem allem widerspricht ihr Gegenpart an diesem Abend nicht. Es ist der ehemals auf Bundesebene und international tätige IG Metall-Gewerkschaftler und spätere Arbeitsdirektor der Georgsmarienhütte GmbH, Dr. theol. Klaus Lang. Solche Labore lassen sich in zeitlicher Dauer und in der Zahl der Einbezogenen abgrenzen – auch bei den z. Teil vorzeitig abgebrochenen Ansätzen dazu u. a. in Finnland und der Schweiz. Aber auf die gesamte Bevölkerung bundesweit und zeitlich unbegrenzt bezogen hält er das BGE bis auf weiteres nicht für finanzierbar, denn, so Lang: „ Lohn- oder Verbrauchssteuern müssten in nicht akzeptable Höhen steigen; Vermögens- und Erbschaftssteuern, aus Gerechtigkeitserwägungen durchaus zu befürworten, erbringen jedoch nicht die erforderliche Geldmenge … und die seit den 70er Jahren immer mal wieder auch dafür ins Gespräch gebrachte Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte müsste international eingeführt werden.“

Zum zweiten verwies Lang neben den finanziellen Bedenken auf den besonderen Stellenwert, den Arbeit, speziell die Erwerbsarbeit, für jeden Einzelnen, für Mann und heute positiverweise auch für Frau(!), in unseren modernen Gesellschaften besitzt. Spätestens seit der klassischen Marienthal-Studie (1933) wisse man, dass Ausschluss von der Erwerbsarbeit tatsächlich ausschließe, also aus Arbeit, Gesellschaft, Politik sowie Demokratie - und eben keinesfalls hereinhole und erweitere … und somit inklusiv wirke. Und außerdem habe sich trotz aller Lamentos - empirisch belegbar - durch die exorbitanten Produktivitätsfortschritte etwa im Agrarsektor (von 38% der insgesamt Beschäftigen 1904 auf jetzt noch ca. 2%) oder auch die Automatisierungswelle in der Industrie seit Mitte des letzten Jahrhunderts die Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft nicht verringert. Lang deshalb: „Keine Angst - die Erwerbsarbeit geht uns nicht aus!“ Deutschland hatte noch nie so viel Erwerbstätige wie heute.“.

Und er glaube, dass ganz ohne „deutliches Fordern“, also nicht einfach „bedingungslos“ für alle es mit so einem Grundeinkommen klappe: „Dies sage ich nicht als Theologe mit Bezug auf die „Erbsünde“ sondern ganz profan und schlicht aufgrund umfangreicher, reflektierter Lebenserfahrung“, beschied er eine Fragerin. Und auch Robert Habeck vertrete, so sein Befund, im Grünenpapier keineswegs ein BGE, sondern sowas wie das heutige HARTZ IV-light.

Einig war man sich bei den sachlich pointiert und auch mal „scharf“, persönlich jedoch sehr respektiert Streitenden Cornelsen und Lang und den ebenfalls vehement mitdiskutierenden Besuchern, dass ein existenzsicherndes Einkommen allen Bürgerinnen und Bürgern – allein schon aus Respekt vor ihrer Würde als Mensch – vom Staat zu gewährleisten ist. Und Aufgrund (a) der völlig unzureichenden Höhe, (b) der derzeit jeweils drohenden Sanktionen und (c) der mit der Antragstellung verbundenen Diskriminierungen wird dies im geltenden HARTZ IV nicht gesehen. Und Einigkeit, dass es gelte, in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen an einer besseren Lösung „im Sinne des Allgemeinwohls“ weiterzuarbeiten.

Der die Disputation klug leitende Moderator des Abends, der Vorsitzende des Caritasverbandes im Bistum Osnabrück, Dr. phil. Gerrit Schulte, trug mit dem Hinweis auf die Armutsfrage und die ungerechte Vermögensverteilung auch in unserer Region, eine Thematik in die Runde, die spontan auf Interesse stieß. Damit kehrt in den Veranstalter-Kreis dieses Abends aus Bündnis 90/Die Grünen Osnabrück-Land, Willy-Brandt-Freundeskreis Osnabrücker Land, der Initiative Osnabrücker Grundeinkommen e.V, Jusos Osnabrück und CDA Wallenhorst nach jahrzehntelanger Abstinenz in Folge von Blairismus und BASTA-Agenda 2010 Eigentums- und Machtverteilungsfrage in Gesellschaft und Wirtschaft zurück. Man wird in den nächsten Monaten prüfen, wie man sich den damit verbundenen Fragen und Herausforderungen im zweiten Halbjahr nähern kann.

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